Impulse - DER MOND REGIERT EBBE UND FLUT – UND AUCH IHREN UMSATZ?
Protokoll einer ungewöhnlichen Recherche
15. Dezember. Auf ein Buch gestoßen, in dem eine gewisse Johanna Paungger, Enkelin eines Bergbauern, die Mondregeln beschreibt, nach denen ihr Großvater sein Leben ausgerichtet hat. Mit dem Titel "Vom richtigen Zeitpunkt". "Die Mondrhythmen", schreibt sei, "üben einen Einfluß auf alles Leben auf der Erde aus." Und bringt als Beispiel etwa, dass Haare, an Tagen geschnitten, an denen der Mond im Zeichen des Löwen steht, besser liegen und gesund bleiben oder dass der Hausputz bei abnehmenden Mond leichter von der Hand geht. Nach der Lektüre verschwindet das Buch erst einmal im Regal.
5. Mai. Spontane Idee: Ob die Bergbäuerin wohl Geschäftsleute kennt, die sich auch nach dem Mondzyklus richten? Anfrage an Johanna Paungger.
28. Mai. Thomas Poppe, Münchner Koautor der Österreicherin, antwortet. "Etwa zehn Minuten, bevor ich Ihren Brief in Händen hielt, war mir ein Gespräch mit dem Präsidenten des Deutschen Patenamts, Professor Erich Häußler, eingefallen, der mir bereits Ende 1991 riet, für ein Wirtschaftsmagazin einen Artikel zu schreiben, wie sich das Wissen um die Mondrhythmen auf Firmenchefs auswirken kann."
1. Juni. Durchsicht des Archivmaterials. Der "Spiegel" hat vor sechs Jahren eine große Titelgeschichte über den Einfluß des Monds gebracht. Der einzige brauchbare Hinweis, wie Umsätze vom Mond abhängen könnten, findet sich im Frauenmagazin "Petra". Dort ist zu lesen: Der Essener Kommunikationswissenschaftler Lutz Garbers ist - ganz gegen seinen Willen - auf eine sonderbare Korrelation gestoßen. Um das Verhalten bundesdeutscher Videonutzer zu erforschen, hatte Garbers nämlich die Ausleihstatistiken großer Videotheken studiert. Dabei fiel ihm auf, dass Bänder mit erotischem Inhalt in einem zunächst unerklärlichen monatlichen Rhythmus entliehen wurden. Die Erklärung fand der Wissenschaftler zu seiner eigenen Verwunderung beim Vergleich mit dem Mondkalender: "Jeweils mit den Rundungen des Mondes nimmt der Bedarf an gewissen Videos zu."
4. Juli. Besuch bei Johanna Paungger und Thomas Poppe. Die Bergbäuerin entpuppt sich als junge sportliche Frau, die ohne jeglichen missionarischen Eifer von dem großen Anklang erzählt, den ihre Vorträge über das uralte Mondwissen bei Zuhörern aller Schichten finden. 100 000mal hat sie ihr Buch bereits verkauft. Aus ihrer Erfahrung ist sie sicher, dass sich die Beobachtungen ihres Großvaters auch auf Unternehmen aus allen Branchen übertragen lassen. Die ersten Firmenchefs haben bereits begonnen, die Regeln bei ihrer Arbeit zu berücksichtigen. Sie sagt zu, Gesprächspartner zu vermitteln.
1. August. Telefonat mit der Bioladenbesitzerin Marianne Vodermeier im oberbayerischen Poing. Die erzählt, dass sie ihr Obst und Gemüse nach einem Zeitplan einkauft, der von Johanna Paungger aufgestellt wurde. Und festgestellt hat, dass Waren, bei aufsteigendem Mond eingelagert, wesentlich länger frisch bleiben. Das senkt den Ausschuß.
Telefonat mit einer Kosmetikerin in Osnabrück. Bei ihren Kunden, berichtet Heidi Koller, habe es sich herumgesprochen, dass sie bei ihrer Arbeit die Mondzyklen beachtet. Behandlungen, die der Haut Wirkstoffe zuführen sollen, führt sie nur noch bei zunehmendem Mond durch, weil dann der Erfolg am größten ist. Wenn es aber darum geht, die Haut von Unreinheiten zu befreien, zieht sie den abnehmenden Mond vor. Mit der Mondmethode konnte sie ihren Kundenstamm beträchtlich erweitern.
Telefonat mit Renate Zeressen: "Auch im Körper herrscht Ebbe und Flut", bringt die Heilpraktikerin aus Markt Schwaben bei München ihre Beobachtungen auf einen Nenner.
5. August. Wissenschaftliches: Die größte Untersuchung zur biologischen Wirkung des Monds liegt 60 Jahre zurück. Zehn Jahre lang erforschte die Stuttgarterin Lilly Kolisko den Wahrheitsgehalt einer alten Bauernregel. Danach sollen Pflanzen, deren essbare Teile über der Erde wachsen, bei zunehmendem Mond ausgesät werden, Pflanzen, deren unterirdische Teile zum Verzehr bestimmt sind, bei abnehmenden Mond.
Überrascht stellte die Biologin fest: Oberirdische Früchte und Gemüse wuchsen tatsächlich prächtig, wenn sie zwei Tage vor Vollmond ausgesät wurden. Mickrig blieb die Ernte hingegen, wenn die Saat zwei Tage vor Neumond aufs Feld gebracht wurde. Alle Erwartungen übertraf auch das Wachstum der Pflanzen, deren essbare Teile im Boden wachsen, wenn sie bei abnehmenden Mond ausgesät wurden.
Ursache und Wirkung
Ebbe und Flut belegen am augenfälligsten den Einfluß, den der Mond auf die Erde ausübt: In Verbindung mit der Sonne erzeugt die Schwerkraft des Mondes einen "Flutberg", unter dem sich die Erde hinwegdreht. Doch nicht nur Flüssiges wird von Mond und Sonne in Schwingung versetzt. Das läßt sich in einem Salzbergwerk bei Berechtsgaden beweisen. Dort hat das Deutsche Geodätische Forschungsinstitut ein 30 Meter langes Pendel installiert, mit dessen Hilfe sich berechnen läßt, wie die Erdoberfläche im Rhythmus der Gezeiten mitschwingt. Das Ergebnis: Um 28 Zentimeter hebt und senkt sich täglich der Boden.
7. August. Die Münchner Textilhändlerin Eva-Maria Glatzeder ruft an: Vergleiche der letztjährigen Umsatzzahlen mit dem Mondkalender haben ergeben, dass ihre Kundinnen in den Tagen um Vollmond und Neumond besonders kauffreudig sind. Bei den diesjährigen Umsatzzahlen kann sie jedoch keine eindeutige Umsatz-Mond-Korrelation mehr feststellen.
11. August. Besuch bei den Tischlermeistern Peter und Ernst Amtmann im österreichischen Werfen. Dia auf Möbel spezialisierten Tischler experimentieren bereits seit Jahren mit mondgerecht eingeschlagenem Holz. Ihre Erfahrung: Dieses Material braucht keine Chemie, um Fäulnis oder Käferbefall vorzubeugen. Werden Holzteile überdies bei abnehmenden Mond eingelassen oder gewachst, wird die Schutzschicht wesentlich widerstandsfähiger. Ausserdem trocknet sie schneller. Zusammen mit dem Linzer Institut für Brandschutztechnik und Sicherheitsforschung hat Peter Amtmann - hauptberuflich Lehrer an der Halleiner Tischlerei-Fachschule - Tests gestartet, ob Holz, das am 1. März geschlagen wird, tatsächlich schwer entflammbar ist. Die ersten Versuche, wissenschaftlich mit Sonden und genau festgelegten Bedingungen durchgeführt, erbrachten verblüffende Ergebnisse.
Besuch bei Erwin Thoma im nahen Sankt Johann im Pongau. Der gelernte Förster hat sich vor drei Jahren mit einem Sägewerk selbständig gemacht. Dort praktiziert er, was er in fünfeinhalbjähriger Amtszeit in seinem ehemaligen Revier in eigener Anschauung studierte: Holz, das beispielsweise zu Fußböden verarbeitet werden soll, fällt er nur an ganz speziellen Tagen (etwa im Dezember oder Januar bei Neumond), weil es sich dann nicht verzieht.
Seine Vollholzfußböden, die ganz ohne Leim und Kleber auskommen, sind mittlerweile schon zum Renner geworden. "Durch die Orientierung an den Mondphasen können wir unseren Kunden die gewünschten Holzeigenschaften garantieren", so Thoma. Als äußeres Zeichen dieser Philosophie will der Oberösterreicher ein Qualitätssiegel entwickeln, das künftig sein Holz von der Einheitsware unterscheiden soll.
18. August. Telefonat mit Thomas Poppe. Das neue Buch "Aus eigener Kraft" ist fertig und kommt im Oktober auf den Markt. Dem Computerzeitalter entsprechend entwickelt die Münchner Firma Cosmodata dazu derzeit eine Mondkalender-Software, die auch Firmenchefs anzeigt, wie ihnen der Mond gerade gesonnen ist.
(Andrea Strunz)
Oktober 1993