Stern - IM BANNE DES MONDES
Hat der vielbesungene Trabant der Erde wirklich Einfluß auf den menschlichen Alltag? Die Tiroler Autorin Johanna Paungger ist davon fest überzeugt. Ihre Mond?Ratgeber wurden Verkaufsrenner.
"Wenn der Mond im Skorpion steht", sagt die Bestsellerautorin Johanna Paungger, "dann tut alles Gute, was man den Geschlechtsorganen angedeihen läßt, besonders wohl." Steht der Mond im Löwen. sei das der ideale Tag für einen Frisörbesuch. Bei zunehmendem Mond setze der Mensch leicht Fett an, bei abnehmendem gehe die Hausarbeit leichter von der Hand. Ihr Fazit: Wer im Einklang mit den Mondrhythmen lebt, der erspart sich so manches Ungemach. Johanna Paunggers Bücher über die "Anwendung des Mondkalenders im täglichen Leben" und das "Gesundsein und Gesundwerden in Harmonie mit Natur und Mondrhythmen" haben in den vergangenen zwei Jahren eine Gesamtauflage von mehr als 400 000 Exemplaren erreicht. Das Interesse an diesen Ratgebern geht weit über das esoterische Publikum hinaus. "Vielleicht liegt das daran, daß wir die Leute überhaupt nicht missionieren wollen", erklärt die 41jährige Autorin, "Wir beschreiben nur das uralte Bauemwissen aus meiner Heimat Tirol."
Johanna Paungger managt mit fester Hand Familie und Haushalt in einem Dorf bei Kufstein, hält Vorträge, fährt in ihrem Jeep zu Lesungen, arbeitet mit ihrem Ko-Autor und Ehemann Thomas Poppe schon wieder an einem neuen Buch und renoviert nebenher ein kleines altes Wohnhaus.
"Heute geht das direkt auf die, Hüften", sagt sie und beißt - am Tag vor Vollmond! - mit Lust in ein kapitales Schinkenspeckbrot. "Ich schau' doch nicht schon morgens in den Mondkalender und denke, um Gottes willen, was muß ich heute tun und was ist heut' verboten. Aber wenn' ich die Wahl habe, am einen oder anderen Tag zum Zahnarzt zu gehen, dann nehm' ich natürlich nicht ausgerechnet einen Stiertag, da tut's ja viel mehr weh." Wer das Geheimnis der Erfolgsautorin ergründen will, muß wissen, wie sie aufwuchs. Im tiefen Tirol lebte in den fünfziger Jahren die Bauernfamilie Koller auf einem riesigen alten Hof. Fast jedes Jahr wurde den Kollers ein Kind geboren, und weil es im Winter in der Berggegend um den "Wilden Kaiser" so klirrend kalt werden kann, daß in den ungeheizten Stuben manchmal die Oberseiten der Bettdecken gefroren, konnten die Babys nicht allein in einer Wiege nächtigen, sondern mußten gewärmt werden. Sie schliefen, im ersten Lebensjahr im Bett der Mutter, wechselten im zweiten, wenn ein neues Kind auf die Welt kam, ins Bett des Vaters und kamen erst im dritten Jahr, wenn sie als robust galten, ins Zimmer der anderen Geschwister. Die kleine Johanna, die im November 1953 auf die Welt kam, schrie nächtelang, wochenlang, sie war durch nichts zu beruhigen. Da packte die Großmutter das kleine Bündel kurzerhand zum Großvater ins Bett. Der war stocktaub und in ein entfernt es Zimmer des Hofes verbannt worden, weil er so laut schnarchte. "Und ich schrie dazu. Das muß ein Lärm gewesen sein, aber keiner störte den anderen. Und irgendwie hat man mich dann wohl dort vergessen", erzählt Johanna Paungger.
So kam es, daß die kleine Johanna die Lieblingsenkelin des alten Mannes wurde, die einzige, die ihm zuschauen durfte, wenn er Kräuter sammelte und heilsame Mixturen für Mensch, Tier und Pflanze ansetzte. "Er hat mir nie erklärt, wie das alles funktioniert", erzählt sie., "Schau nur genau zu, dann siehst du, wie es geht." Die genaue Beobachtung der Natur und die Nutzung ihrer Rhythmen für den Alltag, das alles habe sie von ihm gelernt. Johanna wuchs zu einem selbstbewußten Mädchen heran, das sich nur widerwillig den strengen Eltern unterordnete. In den Schulferien wurde gearbeitet. Wohlleben gab es nicht, Fernsehen und Ferienreisen waren unbekannt. Aber: "Wir konnten mit zehn Jahren Moped fahren, liefen den ganzen Sommer barfuß, und jedes Mädchen konnte ordentlich mit den Buben raufen." Eine schöne, freie Kindheit sei das gewesen.
Als Johanna Paungger später verheiratet war und als Mutter eines Kindes in München lebte, half sie, weil sie eine soziale Ader hat, immer wieder in der Nachbarschaft aus. Einmal wurde sie zu einer Familie mit vier kleinen Kindern gerufen. Alles ging drunter und drüber. Langsam dämmerte es ihr, was in der Familie falsch lief. "Wäsche wurde einfach irgendwann gewaschen. Das Gemüse wurde an Tagen gekauft, an denen es rasch verdirbt. Die Kinder hatten an Stiertagen im Winter keine Mützen auf und waren ständig erkältet." Johanna Paungger erklärte der Nachbarin, was es mit der Natur und dem Mond und den Rhythmen des Lebens auf sich habe - daß es zum Beispiel sinnlos ist, bei zunehmendem Mond zu putzen; daß man die Milch an bestimmten Tagen kaufen muß, "„wenn sie eine Woche lang frisch bleiben soll."
Die Ratschläge klingen für Realisten mehr als seltsam. Wissenschaftlich sind diese Dinge auch nicht zu beweisen, "aber das ist ja auch nicht mein Ziel", sagt Johanna Paungger. Sie begann ihre Mond-Mission zunächst mit Vorträgen, konnte sich bald vor Anfragen kaum retten - und dann wurden die Verlage auf die Frau mit der großen Publikumswirkung aufmerksam. Ihr Mitautor Thomas Poppe, ehemals ein unbekannter, unglücklicher Schreiber, dem die Tirolerin zur Bestseller?Karriere im Mond?Schein verhalf, sagt über die Zusammenarbeit?. „Wir waren sofort auf gleicher Wellenlänge.“ Wenn man die beiden trifft, kann man den Eindruck gewinnen, daß hier ein Suchender seinen ganz persönlichen weiblichen Guru gefunden hat. Johanna Paungger hat sich von ihrem ersten Mann scheiden lassen und Thomas Poppe geheiratet; er ist der Vater ihres zweiten Kindes. Ein Kind, das jedoch nicht an den dafür prädestinierten Mondtagen gezeugt wurde. „Die Kinder kommen, wann sie kommen sollen“, sagt Johanna Paungger. „Darüber mach' ich mir keine Gedanken. (HILKE ROSENBOOM)